Hohes Haus vom 20.05.2012 Demokratiekonzept der ÖVP

Pawlicki Patrizia (ORF)
Und wir gehen gleich zu einer anderen Idee, uns Bürger wieder stärker für Politik zu interessieren. Der Vorschlag kommt von der Jungen ÖVP: Wir, das Wahlvolk, sollen in Sachen Steuern mehr Mitsprache bekommen. Bei zirka zehn Prozent der Einkommens- und Lohnsteuer sollen wir Steuerzahler selbst entscheiden können, wo und wie der Staat dieses Geld ausgeben darf. Maria Fekter gefällt die Idee der schwarzen Nachwuchspolitikerinnen und Politiker. Sie lässt gerade eine Umsetzung prüfen. Dagmar Wohlfahrt berichtet.

Wohlfahrt Dagmar (ORF)
Heute ist Transparenz angesagt. Die Finanzministerin tritt vor die Presse und macht Lobbying in eigener Sache. Damit wir alle künftig mehr Freude am Steuerzahlen haben, soll uns jetzt deutlicher gemacht werden, was mit unserem Geld geschieht. Dafür werden die allgemeinen Budgetzahlen prozentuell auf den einzelnen Steuerzahler umgelegt und dieser erhält die Information schriftlich oder kann sie im Internet abrufen. Aber das ist nur der Anfang.

Fekter Maria (ÖVP)
Diese Transparenz, diese Offenheit und Klarheit, diese Service für die Bürger ist der erste Schritt dazu, dass man vielleicht in Zukunft einmal wird mitbestimmen können, wofür der Steuereuro verwendet wird. Wir haben die Idee ziemlich cool gefunden.

Kurz Sebastian (ÖVP)
Wer weiß, wohin sein Steuergeld im letzten Jahr geflossen ist, der kann vielleicht schon in einiger Zeit auch mitbestimmen, wohin sein Steuergeld im nächsten Jahr fließen wird.

Wohlfahrt Dagmar (ORF)
Geht es nach den Vorstellungen der ÖVP so soll künftig jeder Steuerzahler zehn Prozent seiner Lohn- oder Einkommenssteuer für einen bestimmten Budgetbereich zweckwidmen können. Von 1000 Steuer-Euros sind es also 100 Euro die man einem Sektor zuordnen können soll.

Kurz Sebastian (ÖVP)
Man kann angeben das Thema Bildung, das Thema Infrastruktur und wenn Sie das Fußballstadion ansprechen, vielleicht auch das Thema Sport. Ist ja legitim.

Wohlfahrt Dagmar (ORF)
Diese Idee der beiden ÖVP Vordenker, stößt auch bei gestandenen ÖVP Mandataren auf Zustimmung.

Auer Jakob (Raiffeisen Landesbank OÖ)
Durchaus eine motivierende Ansage für den Steuerzahler.

Bartenstein Martin (ÖVP)
Es braucht in diesem Land auch eine Solidarität mit den Zahlern, den Leistungsträgern, die mit ihren Steuern das ganze Werkel am Laufen halten und so gesehen auch einmal ein Zeichen in die Richtung derjenigen, da gehöre ich wahrscheinlich ein Stück weit dazu, die gewaltig viel an steuern zahlen, damit die Leistungen eines Staates finanziert werden können.

Wohlfahrt Dagmar (ORF)
Reich sein soll sich also wieder lohnen, auch politisch. Denn nach diesem Vorschlag kann derjenige, der mehr Steuern zahlt, auch mehr mitbestimmen. Das geht sogar dem Chef des Bundes der österreichischen Steuerzahler zu weit. Er fürchtet, dass mit diesem ÖVP Vorschlag das Rad der Zeit zurückgedreht wird.

Wagner Manfred (Bund der Steuerzahler)
Wir hatten vor 120, 130 Jahren in Österreich kein allgemeines Wahlrecht, sondern ein Wahlrecht, das abhängig war von der Steuerzahllast und unterschiedlichen Kurien und ich glaube, dorthin wollen wir wohl alle nicht kommen. Dass in Abhängigkeit von der Steuerleistung unterschiedliche Einflussnahmen, wenn Sie so wollen, Bürger und Bürgerinnen verschiedener Klassen geschaffen werden können.

Wohlfahrt Dagmar (ORF)
Im Besucherzentrum des Parlaments kann sich jeder über das sogenannte Zensuswahlrecht informieren.

Öhlinger Theo (Universität Wien)
Man würde eine Art zweite Stimme bekommen, in der man nicht nur über Zusammensetzung des Parlaments mit gleicher Stimme wie jeder andere entscheiden kann, sondern auch, wie dieses Parlament dann mit den Mitteln, die die Steuerzahler zur Verfügung stellen, umgehen kann, aber diese Stimme ist ja nicht gleich, sondern abhängig eben von einer Steuererklärung und auch von der Steuerleistung. Und das widerspricht dem zentralen Grundsatz der Gleichheit des Wahlrechts.

Wohlfahrt Dagmar (ORF)
Demokratiepolitische Fragen scheinen die beiden ÖVP Vordenker offenbar nicht zu bekümmern, denn im Finanzministerium werden schon die Möglichkeiten der Umsetzung der Steuer-Zweckwidmung geprüft. Doch gerade das dürfte sehr schwierig werden, meint der Steuerrechtsexperte Werner Doralt.

Doralt Werner (Universität Wien)
Wie soll ich das administrieren? Die Unternehmer müssten jetzt ihre Lohnsteuerberechnungen umstellen. Jeder Arbeitnehmer hat einen anderen Schwerpunkt. Das muss also alles in der Lohnabrechnung administriert werden und bei der Einkommenssteuer stellt sich dann das Problem, wie gehe ich um mit den Leuten, die eine, die keine betrieblichen Einkünfte haben, sondern die einen Betrieb in Form einer Kapitalgesellschaft führen. die haben dann Dividendeneinkünfte, die scheinen aber in der Steuererklärung nicht auf.

Wohlfahrt Dagmar (ORF)
All jene, die zwar Steuern zahlen, aber eben weder Lohn- noch Einkommensteuern, würden dann weniger mitbestimmen können. Das wäre demokratiepolitisch nicht vertretbar und würde auch eine Volksabstimmung notwendig machen.

Öhlinger Theo (Universität Wien)
Denn es würde sich die frage einer Gesamtänderung der Bundesverfassung stellen, über die eine Volksabstimmung abzuhalten wäre. Ich glaube nur, dass an sich dieser Gedanke so weit von unseren demokratischen Vorstellungen entfernt ist, dass er ohnehin keine Chance auf Realisierung hat.

Wohlfahrt Dagmar (ORF)
Da alle anderen Parlamentsparteien gegen eine Steuer-Zweckwidmung sind, wird die ÖVP schon warten müssen, bis sie die absolute Mehrheit erringt, um diese coole Idee umsetzen zu können.