Offener Brief an Johanna Dohnal von ENARA
Liebe Johanna Dohnal!
Wir wünschen Dir alles Gute zum 100. Frauentag. Schade, dass Du nicht mehr bei uns bist. Sicher wärst Du mit uns vor die Kameras getreten, hättest Stellung bezogen gegen das Unrecht, das sich in diesen Tagen und Wochen scheinbar unaufhaltsam seinen Weg bahnt. Wie schon anlässlich der Tötung von Marcus Omofuma hättest Du einmal mehr die Brücke geschlagen zwischen der Frauenbewegung und der Bewegung gegen Rassismus. Dieser Brückenschlag ist heute notwendiger denn je.
Auch in der Bewegung gegen Rassismus wird für den 19. März mobilisiert. Wir wünschen uns, dass die Demonstration der 20.000 ein Erfolg wird. Wir wollen unseren Teil dazu beitragen, dass die Position der Frauen in unserer Gesellschaft gestärkt wird. Und wir wollen auch nicht verhehlen, dass wir in unseren eigenen Reihen mit der Dominanz der Männer noch viel zu kämpfen haben. Dennoch, liebe Johanna, erlauben wir uns an dieser Stelle, mit Deinen Nachfolgerinnen ein ernstes Wörtchen zu reden.
Wie kann es sein, dass eine Frauenministerin im Ministerrat der zutiefst rassistischen Fremdenrechtnovelle zustimmt? So lange hast Du dafür gekämpft, dass aus der Staatssekretärin für Frauenfragen eine Frauenministerin wird. Mit dieser Position haben Anliegen der Gleichberechtigung endlich ein Vetorecht im Ministerrat. Diese Position ist eine institutionelle Notbremse. Mit ihr ist die Verantwortung verbunden, gravierende Verletzungen der Gleichheit zu verhindern. Aber wenn es um die Migrant_innen geht, wird diese Notbremse nicht benutzt.
Wir können nicht erwarten, dass Deine Nachfolgerinnen Dein politisches Format, Deinen Sinn für Gerechtigkeit und Dein Verhandlungsgeschick haben. Aber zumindest das politische Tauschgeschäft sollten sie beherrschen. Daher stellen wir an dieser Stelle die Frage: Was hat die Frauenministerin dafür erhalten, dass Kinder und Jugendliche ins Gefängnis gesteckt werden können? Welche Zugeständnisse haben die anderen Ministerien für die Sache der Frauen gemacht im Gegenzug für die 7 Tage De-facto-Haft für alle neu ankommenden Asylwerber_innen, die ausnahmslos auch für traumatisierte Folterüberlebende gilt? Bekommt die Frauenministerin dafür in den nächsten Jahren eine flächendeckende
Quotenregelung quer durch Staat und Privatwirtschaft? Gibt es einen Abschiebestopp für Betroffene von Frauenhandel? Bekommen Frauen endlich
Aufenthaltstitel unabhängig von ihren Männern? Was bekommt sie dafür, dass Menschen ohne Verbrechen innerhalb von 24 Monaten für 10 Monate ins Gefängnis gesteckt werden können, nur weil Behörden die Durchführung einer Abschiebung sicherstellen wollen? Was sind solche absurden Verletzungen des Menschenrechts auf persönliche Freiheit wert? Abgesehen davon stehen Menschenrechte eigentlich nicht für politische Tauschgeschäfte zur Verfügung. Menschenrechte setzen vielmehr einen Mindeststandard, der für alle Menschen gleichermaßen gilt und der unantastbar sein sollte. Faktisch jedoch gelten Menschenrechte für Migrant_innen offenbar nur eingeschränkt oder gar nicht. Wer dieses System der Privilegien und der geteilten Menschenrechte stützt, sollte
sich schämen, Worte wie Solidarität und Gleichberechtigung in den Mund
zu nehmen.
Zumal die Fremdenrechtsnovelle Frauen besonders benachteiligt: Die absurd hohen Anforderungen bei den Deutschkenntnissen bedeuten eine besondere Mehrbelastung für ohnehin schon mehrfachbelastete berufstätige Migrantinnen; ebenso eine effektive Benachteiligung für nicht berufstätige Frauen, die über deutlich weniger soziale Kontakte zur deutschsprachigen Mehrheit verfügen. Viele Frauen mit Kindern werden von einem Tag auf den anderen wirtschaftlich alleine dastehen, wenn es schon aufgrund kleiner Verwaltungsdelikte zu Ausweisung und zu mehrjährigem Aufenthaltsverbot in der ganzen EU kommen kann und solchermaßen Familien und Lebensgemeinschaften auseinandergerissen werden. Deutsch vor Zuzug vermindert die Migrationschancen von Frauen in allen Teilen der Welt, wo Deutschkurse verhältnismäßig teuer und nicht gut zu erreichen sind noch viel stärker als jene der Männer. Die besondere Benachteiligung von Frauen im neuen Fremdenrechtspaket läßt sich an den meisten Punkten nachweisen. Bedauerlicherweise fühlt sich auch die Frauenministerin nicht zuständig, auf die Anliegen der Migrantinnen zu achten. Bedauerlicherweise wird seitens der Institutionen kaum etwas dafür getan, dass ein kollektives Bewusstsein von Frauen über alle – auch rassistische – Grenzen hinweg gestärkt wird. Ungleichheit hat eben System.
Liebe Johanna! Dreh Dich nicht um. Ruhe in Frieden. Wir verbleiben in trauriger Solidarität und in der Hoffnung, dass die 20.000 mit uns da sein werden, wenn wir in den nächsten Wochen versuchen, die Absegnung des Fremdenrechtspakets im Parlament zu verhindern.
Gleichheit ist unteilbar.
ENARA – European Network Against Racism Austria
Pascal Ndabalinze (Obmann),
Tirhas Habtu (Obmannstellvertreterin)
PS.: Frauen mit Migrationshintergrund werden durch die vielen verschiedenen Fremdengesetze diskriminiert, sodass ihre Diskriminierung als Frauen nochmal durch diese Gesetze verschlechtert wird. Daher fordert ENARA die Abschaffung aller Sondergesetze für Migrant_innen. Erst dann wird der Kampf gegen die Diskriminierung von Frauen auf einer gleichen Ebene stattfinden.
In diesem Sinne rufen wir alle Menschen auf, an der Demonstration am 19.
März teilzunehmen!