profil-Leserbrief zu Coverstory „Fusionsenergie“ von Ulli Weish
profil Leserbrief zu Coverstory Fusionsenergie
Sehr geehrter Herr Alfred Bankhamer!
Sehr geehrte profil-Redaktion!
Was ist eines der zentralen Kriterien von Qualitätsjournalismus? Die Gesinnung? Die feingeistige zynische Schreibfeder? Oder gar der Arbeitszugang (Recherche, Gegenrecherche, Nennung von Quellen, kritisches Hinterfragen von Daten und Fakten ) und die Differenzierungsfähigkeit innerhalb eines Gesamtthemas inklusive der Reflexion von interessensabhängigen Fakten?
Früher hatte profil eine Wissenschaftsredaktion, der heutige Rest kann offenbar nicht mal mehr recherchieren und die Geschichte von ITER aufbereiten, die alles andere als ein Erfolg war (und vermutlich sein wird, und das seit Jahrzehnten), auch wenn nun weiterhin Geld, das für nachhaltige Energieeffizienz in Volkswirtschaften allerorts in Europa – und global – fehlt, verbraten werden wird. Was einer kritischen Reflexion bedürfte, kommt nun als seichte Industrie-Propaganda daher, denn die TU wird wohl mit Drittmittel hier forschen, mit welchen denn?
Was ist los in der Redaktion? Geht es darum, genau den konträren Gegenpol zur Krone einzunehmen, nach dem Motto: Wurscht um was es geht, wir behaupten das Gegenteil!? Nur in einer bürgerlichen Sprache, mit fein ziselierten Kommentaren versetzt? Eine Stilfrage? Oder doch eine mit grundsätzlich anderem Arbeitszugang? Genau dieser scheint in einem komplexen Wissensgebiet abhanden gekommen zu sein. Gibt es eine VerNEWSung seit der medienökonomischen Fusionierung im Hintergrund, einen Drive zum journalistischen Trash* bei profil?
Nun zu den konkreten Kritikpunkten:
Seit einigen Jahren wird in profil m.E. die Gentechnologie in der Landwirtschaft gepusht, die Alternativmedizin gebasht, frauenpolitische Fakten verwitzelt, banalisiert und bewusst verdreht, und nun ab dieser Woche die fröhliche Propaganda der (alten) Atomlobbyisten verlautbart. Mit Journalismus, oder gar Qualitätsjournalismus hat dies – leider – recht wenig zu tun.
Abgesehen von der Retro-Aufmache – da laufen Mama, Papa, Kinder dem Sonnenuntergang entgegen – Bild, Titel samt Untertitel erinnert an eine Werbekampagne der E-Wirtschaft in den 70ger Jahren, wurden so gut wie alle Aspekte von Qualitätsjournalismus gebrochen.
Keine Gegenrecherche: Sämtliche Befragte, also alle, die im Artikel als „Experten“ bezeichnet wurden, stehen in einem direkten Abhängigkeitsverhältnis zum beschriebenen Projekt, das NICHT NEU IST, die Debatte im wissenschaftlichen Kanon rund um Fusionsenergie entstand in den 60er Jahren, ist fetischbehaftet, industriegepusht (siehe auch französische Atom-Technologie-Export-Interessen) und ressourcenverschlingend (teuer, ungeheurer Materialabrieb, nicht ausgereifte Technologie, Erste-Welt-abhängig), abgesehen von ungeklärten Risikofaktoren, die Sie in Ihrem Artikel nicht mal streifen (Unfallrisiken? Zentralistische Energiegewinnung mit der Bedingung einer Garantie von Hochsicherheit und Bewachung usw.). Viele Argumente, Fakten, Expertisen, die vor allem die öffentlichkeitswirksame Ausklammerung von Experten und Expertinnen der Risikotechnologie-Forschung, der Energieeffizienzforschung, der Alternativ-Energie-AktivistInnen, kritischer WissenschafterInnen, die aus ITER ausgestiegen sind etc. etc. all dies fehlt.
Ich darf zusammenfassen: Einseitigkeit ist kein Merkmal von Qualitätsjournalismus. Dieser Tabubruch in einer der wenigen Fragen, wo in Österreich ein Konsens besteht, der dringlich in die EU und in die UNO zu tragen ist, wo eine Energiewende nicht nur den kapitallosen AktivistInnen und kritischen TechnikerInnen und F&E-Fachleuten in Innovationsabteilungen ohne PR-Budgets überlassen wird, ist inhaltlich schwer problematisch, stärker noch: verantwortungslos. Natürlich kann es auch einfach nur Schlampigkeit und Dummheit sein, ohne dahinter Absichten oder Strategien zu vermuten, ein österreichischer Praktizismus des Dahinwurschtelns im journalistischen Job.
Profil ist eines der besten aktuellen Beispiele, wie Boulevardisierung, Gesinnungsposen und „neubürgerlicher“ (vgl. Meyer, Mediokratie 2002) Habitus bei JournalistInnen in Österreich ausgestaltet ist. Out ist, was nach Ökoszene, Ansätze einer Alternativökonomie oder einer Demokratiebewegung von unten riecht. Da viele als Linke gelten, ist der Nachrichtenwert gleich null. Vorschläge, konkret in Zahlen gegossene Budgetpolitik des Wandels müssen in diesem Land nicht berichtet werden (zB das völlige Ausklammern des Alternativbudgets der Plattform „Wege aus der Krise“, wo genau KEINE Berichterstattung lief, weder von profil, noch von Falter oder von anderen Medien, die einmal dafür standen, eine kritische Öffentlichkeit informieren zu wollen). Was bleibt ist der metapolitische Geschmack nach Regungslosigkeit, Eskapismus und Hysterie in diesem Land, wo unter Suspension von medialen Öffentlichkeiten eine veritable heterogene Gegenkultur noch immer und schon wieder existiert.
Natürlich hat dies für mich Konsequenzen: Nicht nur ich habe schon seit längerer Zeit mein Abo abbestellt, nun mache ich Werbung, damit andere in meinem Umfeld Ihr Magazin-Abo ebenso stornieren. Ich bin mir sicher, Sie brauchen diese Einnahmen nicht, denn über die Anzeigen der relevanten Großkunden können Sie es sich leisten, auf LeserInnen wie mich dauerhaft zu verzichten.
Strahlende Grüße
Dr. in Ulli Weish, Medien- und Kommunikationswissenschafterin, Aktivistin der Plattform 20000frauen
*Lediglich in der Frage der Korruptionsberichterstattung, die zu den U-Ausschüssen und den strafrechtlichen Verfolgungen korrupter Politiker und einiger Manager bzw. Lobbyisten geführt haben, und die antifaschistische Grundhaltung sind die zwei Bereiche, die ich nach wie vor bei profil schätze. Aber das war’s wohl innerhalb des machtpolitischen Mainstreams des angeblich besten Magazins in Österreich, was leider nur mehr ein Marketing-Gag ist. Schade um die Entwicklung.