Profil online „Wir Frustrierten“
Antworten auf zwei wesentliche Einwände gegen die profil-Covergeschichte „Die Wahrheit über die Ungleichheit“ – und auf einigen Unsinn.
Das Schöne und gleichzeitig ein wenig Beunruhigende an einer öffentlichen Debatte ist, dass niemand vorab sagen kann, wohin sie führt. Im schlimmsten Fall zum Beispiel dahin, wo jemand sagt: „Tepperte Weiber. Behaupten, sie verdienen zu wenig. Dabei kriegen sie eh viel mehr, als sie verdienen.“ profil-Kolumnistin Elfriede Hammerl versetzte sich für ihren Kommentar der vergangenen Woche („Burschen wie mir“, profil 19/2012) in eine Stammtischfigur, die so doof ist, dass sie nichts kapiert, alles missversteht. Ein im weitesten Sinn belletristischer Beitrag, zum Glück. Diesseits der Fiktion ist seit dem Erscheinen der profil-Coverstory „Die Wahrheit über die Ungleichheit“ (profil 14/2012) von meinem Kollegen Gernot Bauer und mir ohnehin genug los.
Darin stand natürlich nicht, dass Frauen „viel mehr kriegen, als sie verdienen“. Auch nicht, dass sie genug verdienen. Sondern dass sie bei gleicher Arbeit laut Zahlen einer Wifo-Studie beziehungsweise des Deutschen Bundesamts für Statistik um etwa acht bis zwölf Prozent weniger verdienen als Männer.
Es stand auch nirgendwo im Text, dass dieser Wert zu vernachlässigen sei, wohl aber, dass er von Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek und anderen um mindestens 150 Prozent übertrieben wird. Als „ZiB 2“-Moderator Tarek Leitner Heinisch-Hosek nach Erscheinen des profil-Artikels zum Ausmaß der auf Diskriminierung zurückzuführenden Lohnschere befragte, zog sich die Ministerin schließlich auf die Position zurück, dass „jedes Prozent zu viel“ sei. Damit stimmen wir überein.
Die ganze Debatte um den Gender Pay Gap begann emotional, unterhaltsam und gelegentlich ein wenig kindisch. Nicht wenige Leserbriefschreiberinnen kritisierten, dass profil überwiegend männliche Betriebsräte großer Unternehmen zitierte, die erklärten, in ihren Unternehmen gebe es bei gleicher Arbeit keine nennenswerte Diskriminierung. Wir würden uns „bestätigende Aussagen der Männer“ abdrucken, zürnte die Wiener Stadträtin Sonja Wehsely in einem Mail. Nun kann sich profil nicht aussuchen, welches Geschlecht die Betriebsratsvorsitze dominiert. Als das Einkommenstransparenzgesetz im Jänner des vergangenen Jahres im Parlament beschlossen wurde, jubelte die SPÖ-Abgeordnete Gisela Wurm jedenfalls noch, dass bei der Diskriminierung Abhilfe geschaffen werden könne, „wenn die Betriebsräte sich dann die verschiedenen Einkommensberichte anschauen können“. Plötzlich gelten dieselben Betriebsräte in der SPÖ als wenig vertrauenerweckende Chauvis.
Die stellvertretende ÖGB-Frauenvorsitzende Ilse Fetik, eine Betriebsrätin der Erste Bank, warf profil vor, wir seien „an einer ordentlichen Recherche gar nicht interessiert“, bot uns aber ihre Expertise an. Wir fragten nach und bekamen die Antwort, auch in ihrem Unternehmen sei eigentlich alles in Ordnung.
Zumindest in der Formulierung der Verbalattacken scheint sich der Gender Gap geschlossen zu haben: Die Wiener Gemeinderätin Tanja Wehsely schrieb, profil habe sich „offenbar zur Kampfgazette einer frustrierten Männerbewegung“ aufgeschwungen. Eine Bewegung der Frustrierten zu sein, ist das nicht der uralte – immer schon lächerliche – Vorwurf, den männliche Chauvinisten den Frauen machten? Und wenn es denn wahr wäre, dass sich das Ausmaß der Lohnschere über die Jahre kein bisschen verringert hat, weshalb sollten Männer dann frustriert, ängstlich oder wütend sein? (Nebenbei: Wieso sollte es überhaupt frustrierend sein, wenn jemand anders gleich viel verdient?) ….Mehr…