relevant-Interview mit Ewa Dziedzic : „Homophobie und Rassismus oft Hand in Hand“
Ewa Dziedzic: „Homophobie und Rassismus oft Hand in Hand“
14.06.2011
relevant.at-Journalist Manuel Simbürger traf die Powerfrau zum persönlichen und ausführlichen Gespräch über Homosexualität in Österreich, politischen Mut – und wieso Homophobie und Rassismus Hand in Hand gehen. Ein Gespräch mit Ewa Dziedzic, ihres Zeichens Frau, Migrantin, Lesbe und Politikerin.
Wie sieht die Lage von homosexuellen Frauen und Männern in Österreich tatsächlich aus? Wenn vom 14. bis 19. Juni 2011 das erste Mal der LGBT (LesbianGayBisexualTransgender)-Event „Vienna Pride“ stattfindet, wird die österreichische Hauptstadt in Regenbogenfarben getaucht. Neben der bewährten Regenbogenparade, nach dem Life Ball Wiens schrillste Veranstaltung, wird es dieses Jahr erstmals das „Pride Village“ (ein Zeltfest am Naschmarkt mit Kulinarik, Diskussions- und Showprogramm) eine „Pride Show“ vor dem Rathaus (!) und eine „Lesbians‘ Pride“ im Rahmen der Regenbogenparade geben.
„Um für mehr Sichtbarkeit zu sorgen und um eine gesamtgesellschaftliche Veränderung herbeizuführen, ist eine vierteltägige Parade zu wenig“, betont Dr.in Ewa Dziedzic, Uni-Dozentin und grüne Politikerin. Dziedzic ist u.a. Bezirksrätin und Integrationssprecherin im 20. Wiener Bezirk, Referentin für den Bereich Les-Bi-Schwul & Trans im grünen Parlamentsklub und Obfrau des Vereins „MiGaY“, der sich um Belange von Homosexuellen mit Migrationshintergrund kümmert. Dziedzic selbst ist Tochter einer polnischen Gastarbeiterfamilie – und lesbisch.
relevant.at: Frau Dziedzic, warum sollen Heteros überhaupt die Vienna Pride besuchen?
Ewa Dziedzic: Genauso wie es wichtig ist, dass sich Österreich auch mit Ländern, die Homosexualität unter Strafe stellen oder gesellschaftlich verfolgen, solidarisiert, so ist es auch von großer Bedeutung, dass die LGBT-Community nicht allein für Sichtbarkeit kämpft. Es geht darum, auf gesamtgesellschaftlicher, aber auch auf politischer Ebene die absolute Gleichstellung von Lesben, Schwulen und Transgender-Personen zu erreichen. Das funktioniert nur, wenn dieses Problem-Bewusstsein in der Gesamtbevölkerung vorhanden ist.
Im Rahmen der Vienna Pride will man dies erreichen?
Genau. Die Idee hinter dem „Pride Village“ ist, LGBT-Events an einem Wiener Hotspot (Naschmarkt, Anm. d. Red.) zu veranstalten, der nicht nur von der Community, sondern auch vom österreichischen Durchschnittsbürger und von der –bürgerin stark frequentiert wird. Schon die Regenbogenparade zog in den letzten Jahren Tausende von Heterosexuellen an, die interessiert das Treiben verfolgten. Wir wollen mit der „Vienna Pride“ zum Nachdenken anregen und deutlich machen: LGBT-Rechte sind globale und universelle Menschenrechte. Wenn man stets nur innerhalb der eigenen Community agiert, ist es schwierig, solche Dinge auch nach außen hin zu kommunizieren.
„Sich von der Opferrolle befreien!“
Die Szene will sich also inmitten der Gesellschaft etablieren und die Randgruppen-Rolle ablegen?
Erstens: Wir sind keine Randgruppe! Zweitens: Es ist sehr wichtig, sich von der Opferrolle zu befreien. Ja, als Schwuler, Lesbe, Trangender-Person, MigrantIn, behinderte Person etc. gehört man einer gesellschaftlichen Minderheit an. Aber wir sind genauso Bürger und Bürgerinnen eines Staates, bestimmen den gesellschaftlichen Wandel mit. Deshalb stehen ALLEN dieselben Rechte zu! Das hat nichts mit sexueller Orientierung oder der eigenen Herkunft zu tun.
Hat sich in Österreich die Lage in Sachen LGBT-Rights in den letzten Jahren verbessert oder verschlechtert?
In den letzten Jahrzehnten hat sich hier einiges zum Positiven verändert. Allen voran haben wir die eingetragene PartnerInnenschaft erreicht. Auch auf EU-Ebene hat sich einiges getan. Es gibt unterschiedliche Richtlinien, die Österreich zwar nicht ins nationale Recht implementiert hat, die aber zumindest dazu führen, dass es eine gewisse Sensibilität der Thematik gegenüber gibt.
Wir haben aber immer noch einen weiten Weg vor uns – vom Adoptionsverbot bis hin zum medizinischen Fortpflanzungsverbot. Von Absurditäten wie dem Bindestrichverbot im Familien- bzw. Nachnamen ganz zu schweigen. An solchen Dingen merkt man, wie erzkonservativ-katholisch Österreich eigentlich ist.
„Die Welt befindet sich in einem permanenten Prozess!“
Man hat manchmal das Gefühl, es dauert immer etwas länger, bis auch in Österreich gesellschaftliche Fortschritte angekommen sind. Woran liegt das?
Eine schwierige Frage. Zum einen ist dies sicherlich historisch bedingt. Österreichs Geschichte ist mit-determinierend für eine Gesellschaftskonstruktion, die sich absurderweise als homogen begreift, was aber nie der Fall gewesen ist! An der MigrantInnen-Thematik beispielsweise wird diese Haltung stark deutlich. Der Prozess in Richtung Diversität wird so immer wieder abgebremst. Alles, was von der Norm abweicht, wird als Bedrohung empfunden und macht Angst. Und: je mehr „Glokalisierung“ – heißt: Verortung des Nationalen im Globalen – desto größer die Suche nach angeblich stabilen nationalen Werten. Man darf nicht vergessen: Die Welt befindet sich in einem permanenten Prozess!
Man hört seitens der Politik immer wieder das Argument, die Gesellschaft sei für gewisse Fortschritte einfach noch nicht bereit … stimmt das also?
Das ist vollkommen absurd. Diverse Umfragen, wie aktuell jene über Adoptionsrecht für Homosexuelle, sprechen eine deutlich andere Sprache. Die Aufgabe der Politik ist es, lenkend einzugreifen und die richtigen Rahmenbedingungen in der Gesellschaft zu schaffen, damit diese auch angenommen werden können. Wenn immer nur gewartet wird, bis jede/r „soweit“ ist, hätten wir immer noch kein Frauenwahlrecht!
Ist die Politik weltfremd?
Nein, das würde ich nicht sagen. Manchmal ist es aber so, dass sie sich nur in gewissen Nischen der Realität bewegt. Man darf aber auch nicht vergessen, dass der Druck auf PolitikerInnen sehr hoch ist: nicht jeder FPÖler ist gegen LGBT-Rechte! Tritt er aber öffentlich dafür ein, muss er Angst haben, von der Partei „eins auf den Deckel“ zu bekommen. Viele Parteien haben auch Angst, durch klare Positionierungen mögliche WählerInnen zu verlieren. Das ist schade. Ich würde mir mehr politischen Mut in Österreich wünschen.
Die Grünen haben anscheinend diesen Mut – sie sind die einzige Partei, in der es offen schwule oder lesbische PolitikerInnen gibt … Diese Selbstverständlichkeit gegenüber sexueller Orientierung im Allgemeinen, aber auch Themen wie Minderheitenschutz oder Menschenrechte, waren von Beginn an Teil des Grünen Parteiprogramms – es steht also nicht zur Debatte.
„Frau, Migrantin, Lesbe“
Sie sind Frau, Migrantin, Lesbe. Erleben Sie selbst oft Diskriminierungen an der eigenen Person?
Ob auf offene oder subtile Art und Weise, vermeidbar ist das nicht. Aber ich lasse mich in keine passive Opferrolle drängen und habe noch nie gesagt: „Jetzt bin ich aber diskriminiert worden!“ Vielmehr drehe ich den Spieß um: Ja, ich bin auf diesen Diskriminierungsebenen sensibilisiert und frage mich deshalb, wie ich dies nutzen kann, um dagegen anzukämpfen. Jammern alleine hilft nicht.
Hat man als polnische Lesbe mit noch mehr Problemen zu kämpfen?
Als Lesbe oder Schwuler mit Migrationshintergrund muss man sich mit ganz spezifischen Problemen auseinandersetzen. Man fällt gleich mehrmals aus den gesellschaftlich erwünschten Vorgaben heraus, hat mit Mehrfachdiskriminierungen zu kämpfen. Homophobie oder Rassismus haben oft die gleiche Wurzel. Deshalb habe ich auch die Vereine „ViennaMix“ oder „MiGaY“ mitgegründet.
Grob gesprochen: Werden Sie eher für Ihr Migrantin-Sein oder Ihr Lesbisch-Sein diskriminiert? Oder gar für Ihr Frau-Sein?
Wir leben immer noch in einer stark patriarchalisch strukturierten Welt. Ich muss mir per se als Frau ganz anders Gehör verschaffen als ein Mann. Es ist kein Zufall, dass die Chefetagen noch immer mehrheitlich von Männern besetzt sind. Stichwort: „male friendship“. Dann kommt dazu, dass man als lesbische Frau oft nicht ernst genommen wird („Du hast es ja nicht nötig, lesbisch zu sein!“).
Zusammengefasst: Die Migrations-Thematik ist eine sehr kontroverse, bei der die Emotionen oftmals hohe Wellen schlagen. Als AusländerIn wird man als größere Bedrohung empfunden als als Lesbe.
„Demonstrationen wichtiger als Partys!“
Kommen wir zum Schluss nochmal auf die Vienna Pride zu sprechen. Es ist auch heutzutage noch notwendig, auf der Straße seinen LGBT-Stolz zu feiern?
Absolut. Aber: es geht nicht nur ums Feiern! Die „Vienna Pride“ inklusive der Regenbogenparade ist nach wie vor ein politisch motivierter Event. Ich bin keine Party-Gegnerin, im Gegenteil: Man soll am Tag der Parade ausgelassen feiern und tanzen – jedoch im Bewusstsein, warum wir dies tun und dass dies leider keinesfalls selbstverständlich ist.
Fragen wir zum Abschluss andersrum: Was hat denn die LGBT-Community selbst noch zu lernen?
Dass auch Schwule, Lesben und Transgender-Personen per se keine homogene Gruppe sind. Wenn man einer Minderheit angehört, bedeutet dies nicht automatisch, dass man für andere Minderheiten sensibilisierter ist. Oftmals ist das Gegenteil der Fall: man will sich nicht noch mehr vom Mainstream entfernen. Toleranz gegenüber dem Anders-Sein darf man aber nicht nur auf die sexuelle Orientierung beschränken.
Interview: Manuel Simbürger
Quelle: relevant.at