malmoe „Es wird uns nichts geschenkt“

Artikel vom 14.04.2011

Es wird uns nichts geschenkt

Ein Interview zu „100 Jahre Frauenkampftag“ mit Syliva Köchl

Was war das beeindruckendste Erlebnis, das du mit dem 8. März verbindest?

Am meisten beeindruckte mich, als ich Mitte der 1980er Jahre aus der katholischen Provinz nach Wien gezogen bin, dass es einen Frauentag überhaupt gibt (so wie ich wenig später den 1. Mai entdeckte). Beides ist dort, wo ich herkomme, quasi Teufelswerk, und als Angehörige eines weiblichen Exodus aus dem „Ländle“, wo du die Wahl hattest, dich als Einzelkämpferin gegen extrem bedrückende Vorstellungen von Frauenleben aufzureiben oder eben abzuhauen, war mein erster 8. März in Wien ein Erlebnis der persönlichen Befreiung, des Aufatmens und eines Gefühls von Geborgenheit.

Dieser eine Tag war aber nur die sozusagen äußere Erscheinung einer feministischen Bewegung, die ich dann nach und nach entdeckte. Dass hier Themen, die mich unmittelbar angingen, wie etwa sexualisierte Gewalterfahrungen, massive Rollenzwänge und Heteronormativität, als gesellschaftlich und politisch motiviert und nicht als individuelle Probleme diskutiert wurden, dass gleichzeitig der persönlichen Entfaltung Raum gegeben und die Selbstorganisierung egalitär, generationenübergreifend und dabei durchaus militant gestaltet wurde, also alles, was eine emanzipatorische Bewegung ausmacht, lernte ich hier kennen und schätzen.

Was kann der 8. März heute bedeuten?

Mehr als 25 Jahre nach meinem feministischen „Erwachen“ kann ich feststellen, dass sich sehr vieles positiv verändert hat, vieles aber kaum oder gar nicht. Und das schwarzblaue Intermezzo hat hoffentlich alle, die dachten, ach, der Feminismus hat doch seine sicheren Nischen gefunden, die Gleichberechtigung ist eh schon so gut wie erreicht und ein feministischer Kampf muss gar nicht mehr geführt werden, wachgerüttelt. Als „Mehrheit mit Minderheitenstatus“ wird uns nichts geschenkt, aber alles, was wir nicht verteidigen, ganz schnell wieder weggenommen.

Trotzdem hätte ich ein paar Wünsche an die feministischen Bewegungen (deren Diversität ich erst nach und nach entdeckte): Besinnen wir uns auf Debatten, die es schon mal gab und nehmen wir unsere 90erJahre-Postulate ernst, indem wir Sexismus, Rassismus, Homophobie, Antisemitismus und Klassismus weiterhin und in erneuerter Form zusammendenken. Keine internationalistischen Allianzen mit Antisemitinnen, keine Grabenkämpfe zwischen feministischen Queers und Heteras, keine Kompromisse, wenn es um die Rechte von manchen Frauen auf Kosten anderer Frauen geht.

Bio
Sylvia Köchl, Jg. 1965, Politikwissenschafterin und Journalistin, ist derzeit koordinierende Redakteurin beim feministischen Monatsmagazin „an. schläge“ (http://anschlaege.at)

Quelle: malmoe.org