malmoe „Aktuelle Anachronismen“

22.03.2011

Aktuelle Anachronismen

Ein Interview zu „100 Jahre Frauenkampftag“ mit Karin Schneider

Was ist das beeindruckendste Erlebnis, das du mit dem 8. März verbindest?

Ich muss sagen, das ist für mich eine lustige Frage, die ich mir so selbst nie stellen würde, und ich bin neugierig, was die anderen sagen. Warum ich sie nicht beantworten kann, liegt daran, dass ich die 8. Märze meines Lebens (ich schätze mal, den ersten hab ich bewusst 1986 begangen und mitgestaltet, von den Kindheitserinnerungen an sozialdemokratische Parteilokale abgesehen) nicht als Zuschauerin sondern als unterschiedliche Aktivistin in unterschiedlichen Positionen mit unterschiedlichen Haltungen (vom breiten Bündnis entlang der Klassenfrage bis zu radikal-autonom) beging und deshalb auch keine Zuschauerinnenperspektive erinnere, also sprich von dem, was ich da erlebte, nicht „beeindruckt“ war – wenngleich es sich in mich natürlich eingedruckt, mich bedruckt hat. Vielleicht war ich aufgewühlt, euphorisch, genervt oder nachträglich nachdenklich-beschämt (wenn wir die türkischen Frauen davon überzeugen wollten, ohne Männer mitzumachen, oder die autonomen Frauen davon, dass Bündnisse mit Christinnen okay sind); und ja, ich war immer wirklich beeindruckt, ein Teil von etwas weltweitem mit so einer langen Tradition zu sein, aber das ist in dem Sinn ja kein Erlebnis.

Was kann der 8. März heute bedeuten?

Für mich? Ehrlich? Das wäre zu sagen, dass ich es nicht weiß. Weil dieses „Frauen“ und „Kampftag“ und „international“ mir so anachronistisch vorkommt. Irgendwie (entschuldigt bitte) unangenehm. Wie aus dem letzten Jahrhundert eben (Lachen). Aber dann hör ich die letzten Tage so nebenbei in den Morgenjournalschlagzeilen so Meldungen wie: „In den Ländern mit guten Kinderbetreuungseinrichtungen sind die Berufschancen für Frauen besser. Österreich gehört da nicht dazu.“ So banal. So anachronistisch. So gendermainstream. So wahr und unangenehm nah an der eigenen Realität. Das Interessante ist ja, dass genau in einer Zeit, da die Kategorie „gender“ unter Verdacht geraten ist, mehr festzuschreiben denn zu beschreiben, sie also selbst als Teil des Mainstreams gilt – dass gerade also in dieser Zeit die Benennung, Skandalisierung und Veränderung von Prozentanteilen so selten wurde, dass es eine eigne 8. März- und 100 Jahre Jubiläums-Stimmung braucht, um darüber wieder öffentlich sprechen zu hören. Als wäre es mir – der Niedrigprozentigen – selbst unangenehm, daran erinnert zu werden, dass ich – so queer und intersektionell es in meinen Gedanken, Gefühlen und Konzepten auch zugehen mag – an Folgen eines höchst aktuellen Anachronismus (genannt Männerbund) scheitere. Gleichzeitig war der 8. März – von der Idee her – immer ein „WELTfrauentag“, und wenn ich dann von einer israelischen Freundin hör, dass in Ägypten Demos von hunderttausenden Frauen geplant sind, dann finde ich meine eingangs etwas kokette Distanzierung von diesem Kampftag für abermals unpassend.

Bio
Karin Schneider ist Kunstvermittlerin, Kuratorin und Historikerin. Sie war in den 1990er Jahren KSV-Vorsitzende und auch davor schon aktiv in unterschiedlichen feministischen Kontexten.

Quelle: malmoe.org