2010, Danneberg, Anja, Ausgebrannt

Wie soll das gehen? Mir geht einfach die Luft aus! Es ist ein Burnout, wird allerorts vermeldet. Ein Burnout? Oder vielleicht zwei oder drei …? Ist es nicht einfach meine Unfähigkeit, meine Schwäche nicht mithalten zu können? Nicht den Anforderungen des Wirtschaftsystems gewachsen zu sein?
Von Anja Danneberg
Multitasking – das geht real gar nicht, höre ich in Ö 1 (man muss ja schließlich schauen, sein Wissen zu erweitern – zum Bücherlesen komme ich gar nicht – wann auch? Mit welcher Energie, die nicht mehr über bleibt …) Ich kann mir nicht einmal vorstellen, einen Artikel zu schreiben – was ich einmal zugesagt habe zu tun, um mich auch zu beteiligen an politischen Aktivitäten – nicht nur reden und kritisieren – aktiv einen Beitrag leisten …, nicht mal das ist in meinem Zeitbudget drinnen: Einen kleinen Mini-Beitrag zu leisten. Ich helfe den Kindern, die am Küchentisch sitzen. Bei ihren Anforderungen. Mathe – keine Ahnung – aber seelisch motivieren – „ruf doch die oder den an und stell diese oder jene Frage (damit das Ganze auch schnell geht – Kinder verlieren ja den Überblick, wenn sie keinen mehr haben – müssen lernen, schnell und effizient zu agieren, die Anforderungen vom Wirtschaftssystem an das Schulsystem: Keine Zeit verlieren – schneller, besser sein – Wettbewerb, Druck). Die Kinder sind mitteilungsbedürftig, müssen unterstützt werden, weil die Welt da draußen so unverständlich und verrückt ist und man sich so zu organisieren hat, dass man jeden Tag funktioniert, nur keine Schwäche zeigen.
Ansuchen stellen auf Ermäßigungen, Unterstützungen, Anträge beschaffen, Lohnzettel, Alimentationsnachweise, Staatsbürgerschaftsnachweise, Meldezettel, Studienbestätigungen, Schulbesuchsbestätigungen … Nachweise für die Bedürftigkeit … bin ich überhaupt bedürftig? Gibt es nicht 100.000 mehr Bedürftige als mich? Darf ich mich überhaupt zu den Bedürftigen zählen? Der Lohnzettel und das Alleinerzieherin-Dasein bestätigen es.
Und wieder fehlt etwas. Nicht nur irgendein Nachweis, sondern auch im Leben. Jede Zahlung reißt ein Loch ins Budget …, es geht sich nie aus, nur mit Unterstützung von Familie – immerhin habe ich eine … Das Telefon läutet – zwischen Essen kochen, Kinder betreuen und zeitgleich den Geschirrspüler ausräumen – immerhin habe ich einen –, das Telefon im Ohr eingeklemmt, wichtige Fragen klären: Kinderbetreuung – im Kopf durchgehend, was alles organisatorisch benötigt wird – Schulsachen, Klaviersachen (die Kleinere geht in eine öffentliche Schule mit musikalischer Zusatzausbildung – man will ja die Kinder fördern in ihren Begabungen), gestresst den Hörer wieder auf die Gabel knallen, weil – das Telefon kaputt – wieder die Leitung unterbrochen ist. (Kein Geld, keine Zeit, sich ein neues anzuschaffen – es gibt wichtigere Anschaffungen, da warte ich lieber, bis es gar nicht mehr funktioniert und es sein muss … Eigentlich muss ein neues Telefon schon lange sein …, das ist nur ein klitzekleines Beispiel, das kann man symptomatisch für alles andere in meinem Leben stehen lassen: Therme kaputt, Kinder brauchen neue Winterstiefel und Mäntel, Computer macht schon lange Schwierigkeiten, Internet-Modem ist komplett verschmolzen, weil die Kinder, wieder einmal alleine zu Hause, eine Decke unabsichtlich drüber liegen haben lassen und die Vorstellung, was passiert wäre, wenn ich es weiter denke, versetzt mir einen zusätzlichen Adrenalin-Schock (unterversichert und eine ausgebrannte Wohnung!). Aber: Das Modem funktioniert, trotz komplett zusammen geschmolzenem Gehäuse, immer noch. Und so wird es in diesem Zustand weiter bleiben, bis es endgültig nicht mehr funktioniert.
Bis nichts mehr funktioniert in meinem Leben. Ausgebrannt.