Arbeit und Einkommen neu denken Von Bärbel Danneberg
Arbeit und Einkommen neu denken
Es war gewissermaßen eine Premiere im zweiten Anlauf: Auf Initiative der Plattform 20.000frauen wurde von Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek die unter der damaligen Frauenministerin Johanna Dohnal veranstalteten Frauenenqueten wieder neu aufgelegt. Von Bärbel Danneberg
Ein nobles Ambiente, das Schloss Laudon im Wiener 14. Bezirk, in welchem auch die Verwaltungsakademie untergebracht: Dort trafen sich am 7. Oktober an die 100 Frauen aus unterschiedlichsten Organisationen, Fraueninitiativen und Netzwerken, um zum Thema „Arbeit.Neu.Denken“ zu diskutieren. Die geladenen Referentinnen versprachen schon im Vorfeld eine spannende Tagung – die Hamburger Soziologin Frigga Haug, die Schweizer Ökonomin Mascha Madörin und die österreichische Politikwissenschaftlerin Erna Appel lösten diese Erwartungen auch voll ein.
„Vollbartverbot ab jetzt“ prangte als Aufmacher auf dem Blättchen, das von Aktivistinnen der Plattform 20000frauen an die verdutzten Teilnehmerinnen verteilt wurde. So begann der frühe Morgen mit Heiterkeit aus dem Über.morgen, einer satirischen Bestandsaufnahme der Geschlechterverhältnisse in unserem Land mit umgekehrtem Wirkungsmechanismus: Die spiegelverkehrten Meldungen machten die Absurditäten deutlich, die täglich alles im Kleinformat reproduzieren, was Frauenfeindlichkeit ausmacht.
„Das Bedürfnis nach inhaltlicher Auseinandersetzung rund um das Thema Arbeit ist groß“, sagte Frauenministerin Gabriele Heinisch-Hosek bei der Eröffnung. „Deshalb freut es mich, dass wir uns heute der Arbeitswelt von Frauen mit all ihren Facetten widmen werden.“ Sie machte gleich zu Beginn klar, dass sie diese Enquete als Beginn für einen Diskurs über Frauenthemen verstanden wissen möchte, der weitergeführt und institutionalisiert werden soll. Arbeit habe viele Gesichter, denn Arbeit sei nicht nur Erwerbsarbeit. Sehr häufig würden Frauen auch unzählige Stunden für unbezahlte Arbeit wie für die Pflege von Familienmitgliedern, Kinderbetreuung und Hausarbeit verwenden. Daher, so Heinisch-Hosek, sei es eine wichtige Frage, wie Arbeitsbelastungen fairer verteil werden können. „Wieso werden Berufe, die Dienste am Menschen betreffen, schlechter bezahlt? Die heutige Frauenenquete kann einen wichtigen Denkanstoß für diese notwendige Neubewertung von Arbeit liefern.“
Petra Unger und Ulli Weish von der Plattform 20000frauen wiesen zu Beginn noch einmal auf die Entstehungsgeschichte hin: Rund um den 100. Internationalen Frauentag im März 2011 hatte die Plattform 20000frauen vor der großen Frauendemo am 19. März über die Wiener Ringstraße mit 10.000 Beteiligten politische Forderungen von Frauen aus allen Bundesländern Österreichs gesammelt. Ein großer Teil der Forderungen bezog sich dabei auf den Bereich Arbeit. Angesprochen wurden unter anderem die Lohnschere, die herrschende ungerechte Verteilung von bezahlter und unbezahlter Arbeit und die fehlende Repräsentanz von Frauen in Führungspositionen. Vor diesem Hintergrund war es den Vertreterinnen der Plattform ein zentrales Anliegen, neben der Kritik an herrschenden Verhältnissen auch frauenpolitische Utopien zu diskutieren und daraus mögliche Handlungsschritte für die politische Arbeit abzuleiten.
Unbezahlte Arbeit …
Über das Morgen aus heutiger weiblicher Perspektive nachzudenken, darum ging es dann auch in den Einstiegsvorträgen der Referentinnen und in den Workshops. Mascha Madörin stellte in ihrer Einleitung wirtschaftliche Zukunftsfragen aus Sicht der Care-Ökonomie vor. „Wie wäre es denn, wenn in keynesianischer Makroökonomie die Care-Arbeit eingeführt würde?“ Freilich, es gebe keine linkskeynesianschen Denkmodelle, eine neue Debatte über die öffentlichen Finanzen sei dringend nötig. „Meiner Meinung nach hängt der Lebensstandard tatsächlich auch davon ab, wie viel unbezahlte Arbeit sich ein Haushalt leisten kann“, so Madörin. „Rund siebzig Prozent der unbezahlten Arbeit wird für erwachsene, arbeitsfähige Personen im gleichen Haushalt geleistet – zu zwei Dritteln von Frauen. Das zeigt, wie wichtig unbezahlte Arbeit für die Wohlfahrt aller ist, diese unbezahlte Arbeit produziert Wohlstand!“
80 Prozent der bezahlten und unbezahlten Arbeit würde sich im Bereich der Care-Ökonomie abspielen, die somit zentral für eine neue Wohlfahrtsökonomie sei. Anhand ausgefeilter Statistiken lenkte Madörin den Blick auf diese wirtschaftlich unterbelichteten Größen, die nicht nach Arbeitsproduktivität gemessen werden können, denn die Arbeit am Menschen kann nicht arbeitseffizient sein. Ein großer Teil der personenbezogenen Dienstleistungen und der Produktion von lebensnotwendigen Nahrungsmitteln gehören zu den Wirtschaftsbranchen mit hohen Arbeitskosten und/oder schlechten Arbeitsbedingungen.
… produziert Wohlstand
Madörin: „Die Bedeutung der unbezahlten Arbeit wird völlig unterschätzt. Ich habe für eine Studie eines Uno-Forschungsinstituts Daten für die Schweiz zusammengetragen. Die Resultate sind frappant: Im Jahr 2004 wurden 7.000 Millionen Stunden bezahlte Arbeit geleistet, zusätzlich aber auch noch 8.500 Millionen Stunden unbezahlte Arbeit – in Form von Kinderbetreuung, Kochen, Haushalten, Pflege von Alten und Kranken. Allein fürs Kochen – zu Hause meine ich, nicht im Gastgewerbe – wird fast so viel Arbeitszeit aufgewendet wie in der Industrie und im Baugewerbe zusammen!“
Für Madörin stellen sich drei entscheidende Zukunftsfragen: Erwerbsarbeit und unbezahlte Arbeit hängen eng zusammen, Zeit- und Geldökonomie sind nicht zu trennen – es geht um eine bessere Bezahlung durch staatlich-kollektive Finanzierung. Zweitens: Wie gehen wir mit der Frage der Notwendigkeit und drittens mit Abhängigkeiten und Verantwortung um. Es bedürfe einer neuen Debatte über Care-Ökonomie. Das Ehrenamt, etwa in der Pflege, kann nur ein Zusatz sein, aber kein Standard, so Madörin.
Prekäre Zusammenhänge
Die Politikwissenschaftlerin und Mitarbeiterin der Katholischen Sozialakademie Österreichs, Margit Appel, widmete sich der Frage, wie das Verhältnis von Arbeit und Einkommen sowie die Geschichte, Aktualität und Zukunft eines frauenpolitisch prekären Zusammenhangs neu zu denken sei. Sie verwies auf den Doppelcharakter von Arbeit – einerseits als Ausbeutungsmedium durch Vernichtung von Arbeitskraft und Menschenwürde, andererseits als Teilhabemedium durch ihre sozialintegrative Kraft. Ein Blick auf die Geschichte zeige, dass es den historischen Fluchtpunkt nicht gibt, dass Frauen am Arbeitsmarkt „nie richtig angekommen sind“. Hier zeige sich eine doppelte Vergesellschaftung mit doppelter Benachteiligung durch Verwerfungen am Arbeitsmarkt und Entwertung von Bildung, das „Ernährermodell“ habe Leichtlohngruppen, Teilzeit und Prekariat den Frauen zugeordnet.
Die geschlechtsspezifische Folge in den Sozialsystemen sei der Hürdenlauf, um Ansprüche zu erwerben – wer ist drinnen im System und wer bleibt draußen, eine Frage, die auch stark an die StaatsbürgerInnenschaft geknüpft sei. Ein Versäumnis des Feminismus sei es gewesen, sich mehr mit Fragen der Differenz als mit Verteilungsfragen zu beschäftigen. Appel plädierte für ein bedingungsloses Grundeinkommen als Existenz- und Teilhabesicherung: 70 Prozent des Medianeinkommens, personenbezogen, in jedem Alter, bedingungslos sei der „Bypass“, um Arbeit neu zu denken. Dies stärke die materielle Sicherheit, die Freiheit in der Lebensführung, die Inanspruchnahme politischer Rechte.
Und wer soll das zahlen? – „Wir alle zahlen das, wir alle verdienen es“, so Appel
Wir ersticken in Arbeit
Die Hamburger Professorin für Soziologie, Frigga Haug, stellte ihre Vier-in-Einem-Perspektive als politisch weiter zu entwickelnde Utopie zur Diskussion. Alle sind auf der Suche nach einem neuen Arbeitsbegriff, so Haug. Der alte Marxsche Arbeitsbegriff aus 1770 bezeichnet Arbeit als Tätigkeit der Armen, aber auch als Quelle des Reichtums – Lohnarbeit unter kapitalistischen Bedingungen ist Herrschaft, Knechtschaft, Entfremdung.
Wie aber konnte sich die kostspielige Gattung Mensch so raumgreifend über die Erde verbreiten? Die Trennung von Mutter und Kind war ein wichtiges Evolutionsereignis, die kooperative Übernahme der Pflege schulte bei Geschwistern, Großmüttern Hilfsbereitschaft und Sozialverantwortung. Haug: „Großmütter sind der Trumpf im Ärmel der Gesellschaft.“ Unsere Aufgabe sei, das zu verbinden und den Hierarchien in der Arbeitsteilung durch „revolutionäre Realpolitik“ (Rosa Luxemburg) zu begegnen. Denn wir ersticken in Arbeit und Reproduktionsarbeit. Der „strategische Herrschaftsknoten“ habe Arbeiter- und Frauenbewegung ausgehebelt und nebeneinander gestellt. Die Vier-in-einem-Perspektive heißt: jeweils vier Stunden Zeit haben für Erwerbsarbeit, Sorgearbeit um sich und andere, Entfaltung der in sich schlummernden Fähigkeiten und politisch-gesellschaftliches Engagement. Damit gerät die Politik ums Grundeinkommen in einen lebensbejahenden Zusammenhang, denn es versteht sich von selbst, dass jeder Mensch über ein ausreichendes Einkommen zum Leben verfügt und sich ebenso in jedem der vier Bereiche betätigt. Die Gewerkschaft habe die Verknüpfung dieser vier Bereiche nicht verstanden.
Die Menschen würden, zitierte Frigga Haug Antonio Gramsci, ein chaotisch zusammengesetztes Erbe antreten. Es gehe um nichts weniger als die Frage: Wie verhindern die Menschen das Aussterben ihrer Gattung? In diesem Sinne gelte es, alle Verhältnisse umzuwerfen, wie Marx es formulierte, die Verfügung über fremde Arbeitskraft und über Zeit zu durchbrechen und sich im Tun zu verändern. Ein Lernprozess als Bewegungspolitik, so Haug, hieße: „Erkenne dich selbst als dringlichste Aufgabe der Politik.“
Schließlich entwarf Haug eine provokante Forderung: Teilzeitarbeit für alle, oder Halbzeitarbeit für alle, oder kurze Vollzeitarbeit für alle, wie immer kürzere Arbeitszeit benannt wird – um mehr Zeit für anderes zu haben. „Alle Menschen sollen es sich leisten können, Arbeit um der Arbeit willen zu machen.“
Die lebhafte Diskussion in den Workshops machte deutlich: Diskussions- und Handlungsbedarf ist gegeben. Arbeit und Einkommen neu denken heißt eben auch, die feministischen Arbeiten und Theorien zum Thema nicht in den gesellschaftspolitischen und gewerkschaftlichen Rundablagen zu entsorgen.