Originalstatements von Ursula Kubes-Hofmann zu 5 Fragen von Sandra Ernst-Kaiser

Hier seht ihr die Originalstatements von Ursula Kubes-Hofmann zu 5 Fragen von Sandra Ernst-Kaiser für ihren am 8. Mai auf dieStandard veröffentlichten Artikel „Strukturdebatte mit Herz statt Muttertagskommerz“. Die schriftliche Beantwortung erfolgte am 6. Mai und wurde um 21 Uhr an Sandra Ernst-Kaiser per Email geschickt.

EKS: Wie sehen Sie als feministische Historikerin den Muttertag, Mutterkult und die Ehrung dessen?

KHU: Aus historischer Perspektive entfaltet die Liaison zwischen Demografiedebatten, BevölkerungspolitikerInnen und Blumengeschäften ihre Wirkmächtigkeit mal mehr oder mal weniger – je nach politischen und sozioökonomischen Voraussetzungen in der jeweiligen Zeit.

1927 begründete die Erfinderin des Muttertages in Österreich, Marianne Hainisch, dessen Einführung mit dem „sittlichen Verfall durch den Krieg“ und die beginnende Berufstätigkeit von Frauen in einer Radioansprache „mit dem Abgrund menschlicher Verwilderung“ und damit, dass „Eltern den Einflüssen des Zeitgeistes nicht gewachsen“ seien.

EKS: Diese Begründung von Hainisch ist mehr präsent, wenngleich unter gänzlich anderen politischen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Warum?

KHU: Der Muttertag dient dem Abfeiern einer abstrakten Rolle bestimmter Frauen, nämlich jener, die den Staat mit mehr oder weniger Nachwuchs versorgt haben. Politisch wurde und wird das unterschiedlich begründet: Entweder ideologisch renationalisierend und rassistisch oder sozialtechnokratisch pragmatisch: Jeder und jede kennt heute die politische Rhetorik von ungesicherten Pensionssystemen während gleichzeitig Milliarden in Banken und männerbündisch strukturierte Netzwerke fließen.

In beiden Begründungskontexten geht es letztlich immer um eine Spaltung zwischen Frauen in „gute“ und „böse“ Mütter oder zwischen Mütter und kinderlose Frauen generell. Von dieser machtpolitischen Strategie lebt das patriarchal/kapitalistische Geschäft bis heute mit Hilfe von Frauen. Denn sie unterliegen einer doppelten Stigmatisierung: sowohl als Frau als auch als Mutter.

Daher entspringt der Muttertag einer gesellschaftspolitischen Mottenkiste und gehört abgeschafft. Auch jede Kritik an ihm, die den angeblich „richtigen Wert von Mutterschaft“ postuliert oder „fehlende mütterliche Werte“ durch neoliberale Bedingungen beklagt, scheint mir verfehlt zu sein. Sie festigt, was sie beklagt: die schlechten Rahmenbedingungen, um ein heiles Mutterbild aufrecht zu erhalten.

EKS: In welcher Art und Weise werden Mütter heute instrumentalisiert?

KHU: Demografiedebatten auch neueren Datums speisen sich aus dem unheilvolle Amalgam aus Kampfrhetorik, Verzichtsappellen, Überwältigungsphantasien, positivistischen Datenfluten und Rassismus. Hierfür werden Mütter für die systemimmanente Zurichtung der nächsten Generation gebraucht. Akademikerinnen ohne Kinder werden aufgrund ihrer Kinderlosigkeit stigmatisiert, Mütter mit niedrigem Bildungsstatus, weil sie keine familieninternen „Hilfslehrerinnen“ sind.

Dementsprechend reagiert die Familienpolitik darauf, die pronatalistisch und sozial differenzierend ausgerichtet ist: Die Instrumentalisierung von Müttern findet durch Protagonistinnen eines konservativen Feminismus statt, indem sie diese Politik durch gleichstellungspolitische Maßnahmen für besser ausgebildete Frauen flankieren. Gleichzeitig finden politische Überlegungen statt, wie vor allem Mütter mit niedrigerem Bildungsniveau dazu befähigt werden sollen, den Kindern bei den Schulaufgaben zu helfen. Unter dem Deckmantel der rhetorischen Figur „Elternschaft“ sollen neuerdings „Elternführscheine“ „Kinderführscheine“ und dergleichen Abhilfe schaffen. Denn 95 Prozent der Männer kümmern sich nach wie vor sich wenig bis gar nicht um Kinder. So genannte kinderwägenschiebende Ausnahmeväter reichern dann (neben dem Lob der Erziehungsqualität) das generelle Lob der Mütter an, die solch „brave“ Söhne“ erzogen hat. Das freut die Frauenschar im Park. Denn in den ohnehin schon verworrenen Verhältnissen wirft so eine Modifikation in den familiären Verhältnissen einen moralisch-liebevollen Schleier über, um einen authentisch stilisierten Schein der Humanität zu wahren.

Das dahinterliegende generationenübergreifende Denk- Handlungsmuster ist zählebiger denn je: Die vor allem aus ökonomisch prekären Verhältnissen stammende Frau sei traditionell für den Bereich der Reproduktion verantwortlich, worunter Erziehung des Nachwuchses, Versorgung des Ehemannes und gegebenenfalls Sorge um die eigenen Eltern fallen.

EKS: Wie ist es zu bewerten, dass selbst KPÖ und SPÖ Frauen den Muttertagskult lange Zeit betrieben haben?

KHU: Beide Parteien sind ideologisch patriarchal geprägt und haben ihre Wurzeln im 19. Jahrhundert. Die maßgeblich von Frauen aus diesen Parteien erkämpfte ökonomische Eigenständigkeit von Frauen mit und ohne Kinder ist erst 33 Jahre alt, weil Ehefrauen bis 1978 ohne Einverständnis des Mannes gar nicht berufstätig sein konnten.

EKS: Wie erklären Sie sich das Spannungsfeld „Feministin-Sein und Mutter-Sein“?

KHU: Dieses Spannungsfeld gibt es schon deswegen nicht, weil die feministische Geschichtsschreibung zeigt, dass es vor allem Frauen mit Kinder waren und sind, die politisch etwas bewirken konnten zugunsten aller Frauen in systemimmanenten patriarchalen Politikformen. Allerdings vor allem jene, die sich in prekärsten Lebenslagen befunden haben und befinden. Sie boten und bieten dem zu jeder Zeit durchsetzungsmächtigen konservativen Feminismus politische Parole und Aufklärung und haben mehr Chance auf öffentliches Gehör. Kinderlose Frauen bleiben gesellschaftspolitisch irrelevant, weil das Mutterbild dort, wo es auch noch katholisch besonders aufgeladen wird, wie in Österreich besonders wirkungsvoll geblieben ist.

EKS: Wie könnte ein politischer „Mutter-Begriff“ aussehen?

KHU: Gar nicht, denn heute kann es darum nicht mehr gehen. Der „Mutter-Begriff“ war und ist ein ideologischer und daher nie etwas anderes gewesen als politisch und religiös konnotiert. Dass er bis heute sehr viel Unheil durch Doppelmoral und strukturell erzeugte Gewaltverhältnisse anrichtet, zeigt sich täglich in vielen individuellen Lebenslagen sehr deutlich.

Wer Kinder möchte, auf welchem Wege auch immer, trägt die Verantwortung dafür, egal in welch individuell gewählter Lebensform und sexueller Präferenz. Die politischen Rahmenbedingungen, damit Kinder weder ein Armutsrisiko sind, noch als Projektionsfläche für das eigene nicht gelebte Leben dienen, müssen in jeder Zeit aufs Neue politisch erkämpft werden.