Frauen, der ökonomische Faktor – Volksstimme Oktober 2016

Soziale Repression

Frauen, der ökonomische Faktor

Tausend Mal beklagt, immer wieder gesagt und dennoch unerhört: Die Krise des Sozialstaates trifft Frauen in besonderem Maß. „Lasst uns das tausendmal Gesagte immer wieder sagen, damit es nicht einmal zu wenig gesagt wurde! Lasst uns die Warnungen erneuern, und wenn sie schon wie Asche in unserem Munde sind!“ (Bert Brecht)

Es ist die Zeit der Monster, sagten wir in der Redaktionssitzung. Und tatsächlich: Monströse Arbeitsbedingungen, überhandnehmende Ungleichheit, extreme Ausbeutung der Ware Arbeitskraft, wohin man und frau blickt: steigende Armut und Arbeitslosigkeit, steigender Reichtum. Und viel Arbeit, die zu erledigen, aber unbezahlt ist. Wie wirkt sich die soziale Repression auf Frauen aus?

Weibliche Alltagsgeschichten

Einer der letzten schönen Sommerabende im August. Nach dem Baden im See gehen meine Freundin und ich ins Café der Bootsanlegestelle am Ottensteiner Stausee, um den lauen Abend ausklingen zu lassen. Die Kellnerin ist kurz und knapp, ja, was zu trinken gibt es noch, aber um 19 Uhr ist eigentlich Sperrstunde. Ich schaue mir das müde Gesicht der Frau an. Ich frage, ab wann sie denn heute im Dienst gewesen sei. Seit acht sei sie hier, sagt sie. Anstrengend, sage ich, der Acht-Stunden-Tag ist also passee? Das ist Saisonarbeit, meint sie, tagein, tagaus im Sommer, sie sei froh, den Job zu haben, sie pendle von Hadersdorf bei Krems hierher. „In der Saison hast du vollauf zu tun, und im Winter gehst du stempeln.“

Die teilzeitbeschäftigte Sekretärin eines gemeinnützigen und finanzschwachen Wellness-Vereins wird seit Jahren in den Sommermonaten in die Arbeitslose geschickt – mit einer Einstellungszusage für den Herbst. Dann beginnt die intensive Arbeit und es geht rund um die Uhr. In den Sommermonaten sind die Klient_innen, die sich Wohl und Wellness leisten können, auf Kreta oder sonst wo. Die Sommerarbeitslosigkeit bedeutet für die Sekretärin, eine Alleinerzieherin: 400 Euro weniger im Monat und keine Anrechnung der Dienstzeiten für die Pension. Aber sie ist froh, diesen Job zu haben, sagt sie.

Die 73jährige Pensionistin war zeitlebens Hausfrau, um sich den Kindern zu widmen. Sie war bei ihrem Mann mitversichert. Fünf Jahre lang hat sie ihre Mutter bei sich zu Hause betreut, gepflegt und in den Tod begleitet. Jetzt, nachdem die Betreuungslast von ihr abgefallen ist, machen gesundheitliche Beschwerden eine schwere Herzoperation notwendig, sicher auch ein Resultat der jahrelangen Intensivbetreuung ihrer alten Mutter. Der Rehab-Aufenthalt nach der OP wird von der Pensionsversicherung abgelehnt, für Mitversicherte gelte das nicht. Schließlich bewilligt die Wiener Gebietskrankenkasse nach Bittgesuchen doch einen Rehab-Kuraufenthalt. Sie ist erleichtert und dankbar.

Die 40jährige Betriebsratssekretärin eines großen Konzerns stöhnt: „Arbeit, Arbeit, Arbeit – ich arbeite Vollzeit, habe 50 Gutstunden und falle tot um, wenn ich abends nach Hause komme. Dabei arbeite ich sehr gerne.“

Vier typische Frauenschicksale aus meinem engen Freundinnenkreis. Und alle sagen danke für die Ausbeutung. Hauptsache einen Job haben, wie und unter welchen Bedingungen ist egal. Wo also ist der Widerspruch zu verorten – viel Arbeit, viel Arbeitslosigkeit, viel Ausbeutung?

Gleichstellungskennzahlen, Frauenmonitor

„Die Arbeitslosigkeit nimmt seit Beginn der Wirtschaftskrise 2008, trotz einer leichten Erholung 2011, kontinuierlich zu“, heißt es im eben erschienenen Bericht zu Gleichstellungskennzahlen 2016 des AMS.1) „2015 erreichte die Arbeitslosigkeit neue Höchstwerte: Der Jahresdurchschnittsbestand von 354.332 Arbeitslosen ist der höchste seit 1945. Auch die Arbeitslosenquote von 9,1% ist die höchste der 2. Republik.“

Frauen sind nur scheinbar weniger von der krisenhaften Entwicklung betroffen, so der AMS-Bericht. Die Auswirkungen treffen sie anders als Männer – beispielsweise durch einen steigenden Anteil an atypischer Beschäftigung. Zwar lag die Frauenbeschäftigungsquote 2015 mit 67,1 Prozent erneut deutlich über dem EU-28-Durchschnitt von 60,4 Prozent, jedoch muss die Quote kritisch betrachtet werden, denn die Frauenbeschäftigung ist vor allem aufgrund von hoher Teilzeitbeschäftigung angestiegen: 47,4 Prozent aller erwerbstätigen Frauen arbeiten in Teilzeit. Zum Vergleich: nur lediglich 11,2 Prozent aller erwerbstätigen Männer arbeiten in Teilzeit.
Teilzeitarbeit garantiert den Frauen in den meisten Fällen kein eigenständiges existenzielles Auskommen und führt im Alter dazu, dass Frauen deutlich weniger Pension bekommen: Bezogen auf die Daten des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger liegen die Alterspensionen der Frauen je nach Art der Berechnung um rund 40 bis 50 Prozent unter den Pensionen der Männer. 1)

Auch die Arbeiterkammer Oberösterreich weist in ihrem Frauenmonitor 2016 nach, dass seit 2005 ist ein massiver Anstieg der Zahl atypisch beschäftigter Frauen zu beobachten ist: „Von der Atypisierung der Arbeitswelt sind Männer und Frauen betroffen, jedoch zeigen sich deutliche Unterschiede in Bezug auf die Art und Qualität der atypischen Beschäftigungsformen. Geringfügige Beschäftigungen, Teilzeit und freie Dienstverträge sind zum überwiegenden Teil Frauensache. Dabei handelt es sich um Beschäftigungsformen, die tendenziell mit einer geringen Entlohnung einhergehen.“2)

Hinzu kommen völlig neue Beschäftigungsformen wie etwa das Crowdworking, die Gewerkschaften und Arbeitnehmer_innen vor ganz neue Herausforderungen stellen: kleines Handwerk für kleines Geld. Unternehmen zerlegen Arbeiten in kleine Projekte und vergeben sie über digitale Plattformen für oft geringe Honorare an Freelancer weiter. In Großbritannien finden sich fünf Millionen Plattformarbeiter_innen, und auch hierzulande steigt ihre Zahl. Bisher galt Crowdworking als Nische, in der Hilfskräfte zu Hause auf ihren Computern simple Aufgaben abarbeiten. Nun schreiben Crowdworker Texte, liefern Chemikalien, testen Handys, entwerfen Verpackungen, planen Häuser, betreiben Marktforschung, entwickeln Software, gestalten Werbekampagnen oder entwickeln neue Produkte – und sie tun dies eben auch im Auftrag großer Konzerne. „Mit der neuen Form des Outsourcings von Arbeit ändert sich die Machtbalance in der Arbeitswelt. Mindestlohn, Kündigungsschutz, Streikrecht, Urlaubsanspruch, Rente, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall – für Crowdworker gilt all dies in der Regel nicht.“ („Zeit online“, 5.5.2016)

Blinde Flecken der Ökonomie

In ihrem Buch „Feministische Ökonomie“ 3) beleuchten Bettina Heidinger und Käthe Knittler die „blinden Flecken der Ökonomie“. Die traditionelle Wirtschaftswissenschaft ist „stumm, taub und blind“ gegenüber dem Geschlechterverhältnis. „Es geht darum, den unbezahlten Teil der Ökonomie – sei es in Form von Haus- oder Subsistenzarbeit – sichtbar zu machen und als wesentlichen Wertschöpfungsprozess zu behandeln; die spezifische Situation von Frauen am Arbeitsmarkt als Arbeitnehmerinnen oder Unternehmerinnen ins Blickfeld zu bekommen; und die Geschlechterblindheit von ökonomischen Prozessen aufzudecken.“3)

Frauen arbeiten mehr, länger und unter- oder nichtbezahlt. „In Österreich wird von den 9,7 Milliarden unbezahlten Arbeitsstunden der überwiegende Teil – rund zwei Drittel – von Frauen verrichtet (Statistik Austria 2009). Bei der bezahlten Erwerbsarbeit dreht sich das Verhältnis um: der Großteil (61 Prozent) wird von den Männern verrichtet. Frauen verdienen – abgesehen von Lohndiskriminierung – nicht deshalb weniger als Männer, weil sie ‚zu wenig‘ arbeiten, sondern weil sie ‚zu viel‘ unbezahlt arbeiten.“ 3)

Das Nationaleinkommen bzw. das Bruttoinlandsprodukt (BIP) gilt unterhinterfragt als Wohlstandsindikator. Unbezahlte Haus-, Reproduktions- und Subsistenzarbeit findet dort keinen Niederschlag. Um diese Arbeiten und die Umverteilungswirkungen einer ein- und ausgabenseitigen Budgetpolitik auf das Geschlechterverhältnis sichtbar zu machen, haben feministische Ökonominnen ein alternativ berechnetes BIP vorgestellt. Gender Budgeting analysiert die Wirkungen der öffentlichen Budgets unter Berücksichtigung der spezifischen Lebenssituationen von Männern und Frauen. Dieses Analyseinstrument, mittlerweile als Bekenntnis im Mainstream angekommen, ist in Österreich Teil des Finanzverfassungsgesetzes. Es hebt allerdings den Staat nicht aus den Angeln, denn woher Einnahmen über Steuern oder andere Instrumente kommen und wofür das Geld ausgegeben wird, ist im System kapitalistischer Verwertungslogik eine politische Entscheidung. Die restriktive Austeritätspolitik einer neoliberalen Wirtschafts- und Fiskalpolitik mit ihren Strukturanpassungsprogrammen hat uns vor Augen geführt, dass Bankenrettungen (etwa die Hypo Alpe Adria, an der noch Generationen abzahlen) vor Sozialausgaben gehen (wie die unwürdige Diskussion um die Mindestsicherung zeigt). „Die Kosten der Austeritätspolitik werden auf dem Rücken der Frauen privatisiert und ‚auf die Küche abgewälzt‘…“3

Familienidylle als Krisenauffangbecken

Vor diesem Hintergrund erklärt sich das Wiederaufleben konservativer Lebensmodelle und Familienideologien, die von der politischen Rechten und vom christlichen Fundamentalismus bedient werden. „Die negativen Folgen der Einführung der ‚Hartz-IV-Reformen‘, die (in Deutschland und jetzt auch in Österreich als Modell für Migant_innenarbeit angedacht werden, Anm. B. D.) 2003 in Kraft getreten sind, in Form einer weiteren Prekarisierung des Arbeitsmarktes hatten vor allem Frauen zu tragen“, schreibt Gisela Notz in ihrem Buch „Kritik des Familismus“.4) Notz: „Die Vorhersage, dass die ‚Harzt-IV-Gesetze‘ erwerbslose Frauen verstärkt in die Abhängigkeit von Ehemännern und Lebensgefährten treiben, sollte sich bestätigen. Durch die Rekonstruktion des ‚Familienernährers‘ wird die frauenspezifische Forderung nach eigenständiger Existenzsicherung missachtet.“

Mit dem Harzt-IV-Gesetz taucht der Billiglohnjob als „Innovation“ auf, mittlerweile ist in der BRD jedes fünfte Beschäftigungsverhältnis ein Mini-Job. Das weibliche „Dazuverdienen“, das auch lange Zeit von den Gewerkschaften ignoriert wurde, restauriert ein antiquiertes konservatives Familienmodell, das fern der Realität ist. Zerrissene prekäre Arbeitsmodelle zerreißen traditionelle Familienformen, während gleichzeitig rückwärtsgewandte Familienideologien (z.B. in der BRD durch ein steuerliches Ehegattensplitting oder hierzulande durch fehlende Kinderbetreuungseinrichtungen) verfestigt werden. Was der Staat nicht bereit ist herzugeben von seinen Steuermitteln für Soziales, soll individuell durch Ehrenamt und unbezahlte Familienarbeit ausgeglichen werden. Dafür gibt es -zigtausende Beispiele aus dem Gesundheits- und Pflegebereich. Care- oder Sorgearbeit für Kinder, Alte, Kranke wird den Frauen zugeordnet. Oft sind es Migrantinnen, die zu schlechten Arbeits- und Lohnbedingungen grenzüberschreitend pflegerisch tätig sind und die ihre Kinder zurücklassen müssen. „Die Migrationspolitiken des globalen Nordens kanalisieren Migrantinnen in bestimmte Segmente des Arbeitsmarktes wie den Care-Sektor.“ 3)

Tatsache ist, dass die Schere zwischen Arm und Reich auseinandergeht. In der reichen BRD lebten 2013 mehr als 2,4 Millionen Kinder in Armut. „Familien sind nicht arm, weil Väter und Mütter Kinder haben, sondern Familien sind arm, weil sie nicht erwerbstätig sein können, weil es an Betreuungseinrichtungen fehlt, an existenzsichernd bezahlten Arbeitsplätzen oder auch, weil sie aus dem gewünschten Familienbild herausfallen.“4) Beilspielhaft dafür steht die alleinerziehende Mutter.

Was bleibt?
Nichts bleibt wie es ist. Das heißt aber nicht, dass wir die sozialpolitischen Veränderungen schlucken müssen. Viele Denkmodelle beschäftigen sich mit Alternativen zum gängigen neoliberalen TINA-Prinzip (There Is No Alternative). Margaret Thatcher prägte diesen Begriff, der 2010 zum Unwort des Jahres avancierte und der den Abbau des Sozialstaates und wirtschaftsliberale Reformen bei gleichzeitig konservativen Gesellschaftsvorstellungen beinhaltete. Die Globalisierungskritikerin Susan George hat dem TINA-Prinzip den Ausruf „TATA!“ (There Are Thousands of Alternatives! – Es gibt Tausende Alternativen!) entgegengestellt.
Die heterodoxen Wirtschaftstheorien verlangen nach Alternativen, Widerstandsstrategien und Utopien jenseits einer patriarchalen Ökonomie. „Regelgeleitete Fiskalpolitik ist vor allem in Krisenzeiten, wie wir sie im Moment in der Europäischen Union erleben, mit restriktiver Fiskalpolitik – also sinkenden Ausgaben – gleichzusetzen (Klatzer/Schlager 2011, 2012). Sinkt das BIP, sinken die Einnahmen des Staates. Sinken die Einnahmen des Staates, muss irgendwo gespart werden, um das Defizit und den Schuldenstand gleich zu halten.“3) Vor diesem Hintergrund ist der Steuerhinterziehungsskandal von Apple oder anderen Großkonzernen wie Starbucks besonders aufreizend: Jahrelang profitierte Apple aus Sicht der EU-Wettbewerbshüter von unrechtmäßigen Steuererleichterungen in Irland. Die EU-Kommission fordert nun von Apple eine beispiellose Steuernachzahlung von potenziell mehr als 13 Milliarden Euro. Eine Summe, die das irische Haushaltsbudget erreicht – und auf das Irland verzichten will. Der Konzern sitzt aktuell auf Geldreserven von gut 230 Milliarden Dollar und machte allein im vergangenen Quartal 7,8 Milliarden Dollar Gewinn.

Auch Österreich brüstet sich mit steuerschonenden Maßnahmen für Konzerne mit dem Argument, Anreize für Unternehmensansiedelungen, also Arbeitsplätze zu schaffen. Mit dem Resultat, dass die großen Vermögen geschont werden, während Konsumsteuern, etwa die Mehrwertsteuer, Personen mit geringem Einkommen stärker belasten – und die Arbeitslosigkeit steigt.

Frigga Haug hat in ihrer 4-in-1-Perspektive einen anderen Blick auf die Wirklichkeit geworfen: Der Erwerbs- und der Reproduktionsbereich, Kultur und Politik werden in Hinblick auf eine gerechtere Verteilung der Arbeit zusammengeführt. Das wäre eine radikale Form der Arbeitszeitverkürzung, wenn Arbeit mit Erwerbsarbeit zusammengedacht würde. Die Diskussion um ein bedingungsloses Grundeinkommen ist ein weiterer Denkansatz, den geschlechtergespaltenen Arbeitsmarkt aufzuweichen. Auf der 2. internationalen Marxismus-Feminismus-Konferenz (9. Oktober 2016, Atelierhaus der Akademie der Bildenden Künste, Lehargasse 6-8, 1060 Wien) wird es Gelegenheit geben, die blinden Flecken zu erhellen und alternative Gedanken dazu zu vertiefen.

Bärbel Danneberg

1)Bericht Gleichstellungskennzahlen im AMS 2016, zu beziehen über:
Arbeitsmarktservice Österreich. Arbeitsmarktpolitik für Frauen. Treustraße 35-43, 1200 Wien.
2) Frauenmonitor 2016 Arbeiterkammer OÖ: Die Lage der Frauen in Oberösterreich. ooe.arbeiterkammer.at
3) Bettina Haidinger, Käthe Knittler: Feministische Ökonomie, Mandelbaumverlag kritik & utopie, 2014 (die überarbeitete und erweiterte Neuauflage erscheint dieser Tage).
4) Gisela Notz: Kritik des Familismus, Theorie und soziale Realität eines ideologischen Gemäldes, Schmetterling Verlag, 2015.