Diskussionspapier der Plattform 20000frauen zur Prostitutionsdebatte

Diskussionspapier Plattform 20000 Frauen

Frauensolidarität kann nicht bei Sexarbeiterinnen / Prostituierten aufhören!

Derzeit stehen in der Frage von Prostitution / Sexarbeit in der Frauenbewegung unversöhnliche Positionen gegenüber: Die abolitionistische, wonach Prostitution verboten und Sexkauf bestraft werden soll („Gäbe es keine Prostitution, gäbe es auch keinen Frauenhandel“), und jene, der es um Rechte für Sexarbeiterinnen geht.
Jeder Feministin sei es unbenommen, über Prostitution / Sexarbeit zu denken, was sie will, was wir jedoch nicht können, ist unsere Solidarität gerade bei Sexarbeiterinnen / Prostituierten enden zu lassen.
Angesichts sich ständig verschlechternder Arbeitsbedingungen in allen Berufen – zunehmender Prekarisierung, Aushöhlung des Arbeitsrechts, keine existenzsichernden Einkommen, befristete und Teilzeitjobs, von denen frau nicht leben kann – und angesichts der weltweit immer deutlicher die Form von Ausbeutungsverhältnissen annehmenden Wirtschaftsbeziehungen, die vielen Menschen des globalen Ostens und Südens ökonomisches Überleben immer mehr verunmöglicht, kann das Verbot von Prostitution / Sexarbeit oder die Kriminalisierung ihrer Kunden nicht auf der frauenpolitischen Tagesordnung stehen. Vielmehr müssen Feministinnen darum kämpfen, dass die in diesem Bereich tätigen Frauen (und Männer) menschenwürdige Lebens- und Arbeitsbedingungen vorfinden. Für eine solidarische Frauenbewegung sind Gespräche mit den Betroffenen die Voraussetzung dafür, deren Situation kennenzulernen, um Politik auf informierter Grundlage zu machen.
Wir fordern deshalb von der offiziellen (Frauen-) Politik, dass keine Gesetze mehr für Sexarbeiterinnen / Prostituierte gemacht werden ohne ihre Sicht als Betroffene anzuhören und Selbstorganisationen und Beratungseinrichtungen von Sexarbeiterinnen, insbesondere sexworker.at, LEFÖ u.a. beizuziehen. Es gibt keinen Grund, SexarbeiterInnen/Prostituierte zum einzigen Berufsgruppe zu machen, die an der Erarbeitung der sie betreffenden Gesetzen automatisch ausgeschlossen wird, und vermutlich die einzige Berufsgruppe, wo stattdessen die Polizei diese Gesetze mitbestimmt. Diese Form der Stigmatisierung und Diskriminierung mit allen negativen Folgen, die sich keine Menschengruppe gefallen lassen würde, muss beendet werden.
Es geht in dieser Frage nicht in erster Linie um Geschlechterkampf, sondern um Migration und Menschenrechte für eine Gruppe, die in unserer Gesellschaft zu den Schwächsten und Ausgesetztesten zählt! Armutsmigration durch eine Politik der Verbote regeln zu wollen, ist menschenverachtend und liefert Sexarbeiterinnen/Prostituierte unnötig den BordellbetreiberInnen und dem Gewaltregime des Staates aus. Der österreichische Staat lässt Menschenrechtsverletzungen gegenüber Sexarbeiterinnen zu, weil er mit dem Hurenstigma kalkuliert, d.h., sich darauf verlässt, dass wenig Solidarität mit Sexarbeiterinnen / Prostituierten vorhanden ist. Häufig nimmt die Haltung von Feministinnen gegenüber Sexarbeiterinnen/Prostituierten Formen an, die Sexarbeiterinnen/Prostituierte ebenfalls abwerten, diskriminieren und verurteilen und – da unter SexarbeiterInnen sehr viele Migrantinnen sind – daher als rassistisch gelten müssen.
Die Aktivistinnen der Plattform 20000 Frauen lehnen dies für sich ab.
Wir schließen uns jenem Verständnis von Prostitution / Sexarbeit an, das die darin Tätigen davon haben, nämlich das einer freiwillig erbrachten sexuellen Dienstleistung, die einen einvernehmlichen Vertrag zwischen Erwachsenen voraussetzt. Wenn es das nicht ist, ist es nicht Sexarbeit / Prostitution, sondern sexuelle Gewalt, Ausbeutung und Zwang.
Außerdem verwenden wir künftig den Begriff der Hurenbewegung für ihre Arbeit: Sexarbeit statt Prostitution.

Die Plattform 20000 Frauen fordert daher:
• Keine Abschiebungen aufgrund von Verwaltungsstrafen (derzeit können Sexarbeiterinnen, die eine Verwaltungsstrafe in der Höhe von € 1000 angehäuft haben, abgeschoben werden).
• Aufhebung aller Verbotszonen des Straßenstrichs, besonders vor den Stundenhotels – dieser ist als eine relativ selbstbestimmte Form von Sexarbeit anzusehen und für manche Frauen die bevorzugte Form der Sexarbeit. Unter angemessenen Umständen ist der Straßenstrich ein Arbeitsort, an dem SexarbeiterInnen der größte Anteil an ihrem Einkommen bleibt, während in Laufhäusern Mieten ab 80 Euro pro Tag üblich sind.
• Beim Verbot des Straßenstrichs in Wien wurden nur AnrainerInnen gehört und die Betroffenen SexarbeiterInnen nie. Die Vertreibung in extrem abgelegene Gebiete hat zahlreiche Frauen zu Gewaltopfern gemacht, die anderswo nie Probleme mit Kunden hatten.
• Der entstandene illegale Straßenstrich macht Frauen ebenso vulnerabel wie das Verbot von Escort, weil sie sich bei Problemen an keine offiziellen Stellen wenden können.
• Wir fordern die Legalisierung von Escort.
• Eine Entkriminalisierung von Sexarbeit und die Einhaltung von Grund- und Menschenrechten gegenüber Sexarbeiterinnen.
• Es darf nicht sein, dass die Polizei das Recht hat, jederzeit eine Wohnung zu betreten, nur weil jemand behauptet hat, dass eine dort sich aufhaltende Frau der Prostitution nachgehe.
• Dass Sexarbeiterinnen sich wenn sie nicht arbeiten (Urlaub, Krankheit) bei der Polizei abmelden müssen ist untragbar.
• Die mit langen Wartezeiten verbundenen und entwürdigenden wöchentlichen, teilweise kostenpflichtigen Gesundheitsuntersuchungen sind abzuschaffen. Diese nützen nur der Versicherung von Freiern, dass sie bedenkenlos ohne Kondom mit der Frau verkehren können und nicht dem Interesse an der Gesundheit der Frau. Es sind reine Kontroll- und Repressionsmaßnahmen, die keinerlei Nutzen für SexarbeiterInnen haben. Es gibt aktuell in Wien nur eine Stelle für ca. 3500 Frauen, die Frauen werden untersucht, aber nicht behandelt und sie erhalten keine Diagnose. Die Zwangsuntersuchungen von Sexarbeiterinnen gehören – wie in allen anderen Ländern der Welt (Ausnahme Griechenland, viel längere Intervalle!) bereits geschehen – ersatzlos gestrichen. UNO, UNAIDS und WHO haben sich in diesem Sinne positioniert. Untersuchungen müssen – wie für alle Menschen – freiwillig und anonym sein.
Diese Gesundheitsuntersuchungen setzen Frauen auch der Gewalt aus: Wenn sie von Freiern, Zuhältern und Betreibern nicht aufgefunden werden wollen, können sie am Gesundheitsamt angetroffen werden, da ihnen dort ein bestimmter Tag pro Woche zugeteilt ist. In einigen Bundesländern ist fachspezifischen SozialarbeiterInnen der Besuch des Gesundheitsamtes untersagt. Bei einer Zwangsuntersuchung oder einer Razzia ist nicht zu erwarten, dass Opfer von Gewalt sich jemandem anvertrauen.
• Die Frauen dürfen keine/n BetreiberIn brauchen, der/die sie anmeldet. Die Frauen zu Angestellten von Betreibern zu machen, bedeutet sie der Abhängigkeit von diesen auszusetzen. (Es gibt Bundesländer, wo man nur mit Bescheid von BetreiberInnen den Deckel/Zulassungskarte bekommt).
• Sexarbeiterinnen, die sich für ihre Rechte einsetzen und gewerkschaftlich organisieren, müssen vor rechtswidrigen oder willkürlichen Hausdurchsuchungen und Steuerstrafverfahren geschützt werden.
• Wir fordern die Aufhebung der Registrierungspflicht. Frauen, die sexuelle Dienstleistungen anbieten, dürfen nicht dazu gezwungen werden, sich als Prostituierte registrieren zu lassen – das ist eine Einschränkung ihrer sexuellen Selbstbestimmungsrechte.
• Sexarbeiterinnen am Straßenstrich haben vor der Willkür bei Gesetzen oder der Polizei geschützt zu werden. Aufenthalt in der Verbotszone oder in „Arbeitskleidung“ in Verbotszonen bedeutet € 500 (bzw. Ersatzhaftstrafe) als Mindeststrafe bei der ersten Übertretung (Winken am Straßenrand reicht dazu), Strafen von über € 1000 in nur wenigen Stunden zu bekommen, kommt regelmäßig vor. Ab 1000 Euro Strafe können MigrantInnen abgeschoben werden.

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