1848, Schmölzer, Hilde, Der erste Arbeiterinnenaufstand in Wien

Auszug aus dem Buch: "Die Revolte der Frauen", von Hilde Schmölzer:

Ähnlich wie bei den Brotunruhen im Paris der Jahre 1789 – 1793/94 kam auch bei den Arbeiteraufständen 1848 in Wien den Frauen der Unterschichten eine führende Rolle zu. Auch jetzt waren sie es, die am meisten unter den erhöhten Preisen für Grundnahrungsmittel, den Getreidemißernten, Arbeitslosigkeit oder ausbeuterischen Arbeitsbedingungen zu leiden hatten. Die Krise der Wiener Textilindustrie traf vor allem Frauen, denen die meisten anderen Berufszweige verschlossen blieben und die außerdem von Männern als Lohndrückerinnen empfunden wurden. Trotzdem waren auch im Jahr 1848 hauptsächlich sie für das Überleben ihrer Familien zuständig, weshalb sie ebenfalls Bäckerläden plünderten, Warentransporte überfielen oder sich anders Nahrungsmittl zu verschaffen suchten. Und auch diesmal wurden Frauen in den Hunger, den Bettel und die Prostitution getrieben.
Als daher Minister Schwarzer im August 1848 den Lohn für die über 8.000 bei Erdarbeiten beschäftigten Frauen von 20 auf 15 Kronen kürzte, war das Maß voll (ein kleines Brot kostete 6 Kronen, ein Mitagessen 16 Kronen). Die Frauen, deren Löhne damit weiter unter jene der Männer gedrückt wurden (Arbeiter erhielten täglich 25 Kronen) gingen auf die Straße, und am 21. August, ein gutes halbes Jahrhundert nach dem Marsch der Marktfrauen nach Versailles, fand die erste Frauendemonstration in Wien statt.
Diese Frauen waren nicht lieblich, keine „hilfreichen Engel“, die ihre Funktion als unterstützende, anfeuernde Gehilfin der kämpfenden Männer erfüllten, keine „Zierde“ des männlichen Geschlechts, als die sie noch beim Barrikadenbau in den Maitagen gepriesen wurden, sie waren hungrig, verzweifelt, und sie forderten Brot. Die empörte Reaktion folgte auf dem Fuß. Die kurze Solidarisierungsphase zwischen Bürgersfrauen und Proletarierinnen während der Barrikadenkämpfe zerbrach. Vor allem konservative Kreise empfanden das „ungeheuerliche Verhalten“ der Arbeiterinnen als Provokation. Aber auch die demokratische Presse erging sich in Beschimpfungen: „Besonders die Weibsbilder betrugen sich wie Furien. Auf die roheste, empörendste, unsittlichste Weise wurde die Garde beleidigt…“. 1) Bei neuerlichen Ausschreitungen zwischen Arbeiterinnen, denen sich inzwischen zahlreiche Männer angeschlossen hatten und Sicherheitsbeamten zwei Tage später richteten Militär und Teile der Nationalgarde ein Blutbad unter den DemonstrantInnen an. Die „Wiener Gassenzeitung“ berichtete von 282 registrierten Verwundeten und 18 Toten. 2)
Aus der letzten Phase der Wiener Revolution, als sich die Situation dramatisch zuzuspitzen begann, der kaiserliche Hof zum zweiten mal Wien verlassen hatte, das Kriegsministerium gestürmt, der Kriegsminister Latour aufgehängt und das kaiserliche Zeughaus geplündert worden war besitzen wir die meisten Berichte von bewaffneten, kämpfenden Frauen. Es handelt sich dabei vornehmlich um Arbeiterinnen, Frauen der Unterschicht, die nichts zu verlieren hatten und die wußten, was ihnen bevorstand, wenn sie den kaiserlichen Truppen in die Hände fielen. Die anfangs noch positive Haltung, mit der in den Oktoberkämpfen bewaffnete Frauen als „muthvolle Weiber“ gefeiert wurden, als Retterinnen, die nach dem Vorbild einer Jeanne d’Arc die Stadt vor einer Niederlage bewahren sollten kehrte sich allmählich in kritische Distanz, das massive Auftreten kämpferischer Frauen löste Unbehagen aus.“ Bewaffnete Weiber mischten sich jetzt unter die Männer“ schreibt der linke Abgeordnete der Frankfurter Nationalversammlung Julius Fröbel in seinen Erinnerungen, „… Ein Schauer, ich gestehe es, durchlief mich, als die eine von ihnen, ein Bajonett als Dolch in der Hand, mit dem Ausdrucke unbeschreiblicher Exaltation von mir eine Muskete verlangte…“. 3) Andere Zeitzeugen berichten von der Bildung eines Frauenkorps an der Universität am 17. Oktober, wieder andere von mehreren hundert Frauen, die mit Gewehren und Pistolen bewaffnet und mit Kalabresern verwundeter oder gefallener Studenten auf den Köpfen herumgezogen sind. 4) Allgemein wurde die „wachsende Hemmungslosigkeit“ beklagt, die „Frauen rasen“, es fehle die Autorität. Bertold Auerbach, der Verfasser des „Tagebuch aus Wien von Latour bis auf Windischgrätz“ spricht von einem „Amazonentrupp“, der „eine häßliche Farce“ gewesen sei. 5)
Zwei Namen sind uns aus diesen Tagen überliefert: Jener der Pauline Pfiffner (1825 – 1853), einer Polin, die Mitglied der akademischen Legion war und in der Armee Kossuts zum Leutnant aufstieg. Sie starb nach dem Scheitern der ungarischen Revolution im Gefängnis. Und eine Maria Lebstück (1830 – 1892), die als Mann verkleidet auf den Barrikaden Wiens, aber auch während des Aufstandes in Ungarn kämpfte. Sie wurde in Ungarn Oberstleutnant und beteiligte sich an vielen Schlachten gegen das kaisertreue österreichische Militär.

Die Angst der Frauen, die in diesen Oktobertagen mit dem Mut der Verzweiflung gekämpft haben, war nur zu berechtigt. Denn nachdem die Wiener am 31. Oktober gegen die erdrückende Mehrheit der kroatisch – österreichischen Kaisertruppen kapituliert hatten, wiederholten sich die alten, immer wieder neuen Racheakte an Frauen. Berichte sprechen von furchtbaren Greueltaten, wie sie uns auch aus jüngster Vergangenheit bekannt sind: Vergewaltigungen, grausame Verstümmelungen, schließlich Tötung von Frauen. „Der Wirtin vom Schüttelbach wurden die Brüste abgeschnitten, der Bauch aufgeschlitzt, und dann ihr Mann ins Feuer geworfen. Kinder und Frauen wurden ermordet, alles geplündert und zerschlagen…Ein sechzehnjähriges Mädchen auf dem Erdberg starb infolge einer Notzüchtigung, welche sie von sechs Kroaten hintereinander erlitten hatte.“ 6)

Nach der Zerschlagung der Revolution wurden die kleinen, errungenen Freiheiten: Pressefreiheit, Volksbewaffnung und eine „Constitution“, die allerdings gar nicht den allgemeinen Vorstellungen von „Volkssouveränität“ entsprach wieder zurückgenommen. Am härtesten trafen die neuen Verordnungen wiederum Frauen. Weil man nach „den Zügellosigkeiten der letzten Monate…in jeder Wienerin eine Hetäre“ sah, 7) wurde verfügt, daß jede Frau, die alleine auf der Straße ging aufgehalten und mitgenommen werden konnte. Außerdem wurde ab 21 Uhr ein Ausgehverbot für Frauen ohne männliche Begleitung verhängt.

Auszug: Hilde Schmölzer: Revolte der Frauen. Porträts aus 200 Jahren Emanzipation der Frau. Klagenfurt/Wien: Kitab-Verlag 2008
Hilde Schmölzer,Drin ist Sachbuchautorin in Wien.